Leben mit Corona in unseren Kindergärten
Ende Juni 2020 wurde die vollständige Schließung von Kindertagesstätten aufgehoben. Sie hatte seit März gegolten. Wie sind Erzieherinnen, Kinder und Eltern mit der Krise umgegangen? Wie erleben sie die neue Normalität im „Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“?
Wir haben nachgefragt:
Miriam Andre, 47 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Kinderhaus:
Am 16. März hieß es: Totaler Shutdown. Wie haben Sie sich auf diese Situation eingestellt?
„Ich habe ein Gefühl der Unsicherheit empfunden. Das Ganze kam mir sehr unwirklich vor, fast surreal. Etwas Vergleichbares hatte ich in meinem Leben bisher noch nie erlebt. Und natürlich beschäftigte mich die Frage, wie es weitergeht.
Für uns als Familie bedeutete der Lookdown, dass auch unsere beiden Kinder nicht mehr zur Schule gehen konnten. Das stellte das gewohnte Leben auf den Kopf.
Aber wir haben das Beste aus der Situation gemacht, unseren Tagesablauf neu strukturiert und uns an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst, z.B. mit Homeschooling, alternativer Freizeitgestaltung oder Homeoffice.
Trotz der vielen Einschränkungen nehme ich auch gute Erfahrungen mit: Wir hatten deutlich weniger Terminstress als sonst und mehr Zeit als Familie. Das war für uns sehr wertvoll. In allen Unsicherheiten, die das Virus mit sich brachte, war ich mir immer bewusst: Gott hält alles in seiner Hand. Dieses Wissen hat mich ruhig gemacht“.
Miriam Andre, 47 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Kinderhaus
Dienstag, 17. März 2020
Eine Notfallbetreuung wird eingerichtet für Kinder, bei denen beide Erziehungsberechtigte bzw. der alleinerziehende Elternteil in einer kritischen Infrastruktur tätig sind.
Rosie Keh, 59 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Kindergarten des Kinderhauses:
Der normale Regelbetrieb fand nicht mehr statt. Wie hat dies Ihre Arbeit verändert?
„Mein Alltag besteht normalerweise aus der pädagogischen Arbeit mit Kindern und dem Kontakt zu den Eltern. Als Corona kam, waren die Kindergärten plötzlich geschlossen und die Räume, die sonst frohes Kinderlachen erfüllt, wie ausgestorben.
Meine Kolleginnen und ich haben diese Zeit genutzt, um Dinge aufzuarbeiten, für die wir sonst kaum Zeit finden. Wir erledigten Schriftliches und brachten das Kindergartenkonzept auf den neusten Stand. Zusätzlich putzten wir Räume und desinfizierten Spielsachen sehr gründlich.
Als die Notfallbetreuung begann, waren nur wenige Kinder und Erzieherinnen vor Ort. Der Großteil musste zu Hause bleiben. Wir erstellten mehrere Videos und transportierten so ein Stück Kindergartenalltag in die eigenen vier Wände der Familien. Die Kleinsten erlebten gemeinsam mit ihren Eltern Fingerspiele, Schattentheater oder das Vorlesen eines Buches vor dem heimischen PC. Für die Vorschüler erarbeiteten wir Arbeitsmaterialien für Schwungübungen, Buchstaben oder Experimente und schickten sie per Brief an die künftigen Erstklässler.
Ich arbeitete im Homeoffice, da ich zur Risikogruppe gehöre. Viele Fragen haben mich umgetrieben: Wie geht es den Kleinen in ihrem neuen Alltag? Wie kommen die Eltern mit der Situation zurecht? Können sie die Betreuung ihrer Kinder gut abdecken? Den unmittelbaren Kontakt mit Kindern und Eltern habe ich sehr vermisst. Aus der Ferne unterstützte ich meine Kolleginnen vor Ort, so gut es ging: Ich bastelte Schablonen, kaufte Bastelmaterialien, besorgte Bücher in der Bibliothek. Trotz aller Auslastung wünschte mir sehnlichst, bald wieder im Kindergarten arbeiten zu dürfen. Die permanente Unsicherheit und das Verarbeiten der ständig neuen Informationen erforderte viel Flexibilität. Das war kräftezehrend. Ende Juni durfte ich dann endlich wieder vor Ort im Kindergarten arbeiten. Jeden Tag genieße ich die zurück gewonnene Normalität.“
Rosie Keh, 59 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Kindergarten des Kinderhauses
Larisa Chiavalo, 22 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Wilhelm-Götz-Kindergarten:
Auch Kinder und Eltern waren im Krisenmodus. Wie haben sie ihren Alltag bewältigt?
„Die Anfangszeit war für alle schwierig. Ein komplett neuer Alltag hielt Einzug. Wir haben eine Malaktion initiiert, um den Bezug der Familien zu ihrem Kindergarten aufrecht zu erhalten. Viele Kinder kamen mit ihren Eltern vorbei und legten ihre Gemälde in die Briefkästen. Am Ende waren die Fenster voll mit farbenfrohen Bildern.
Es war schön, einige Kinder und Eltern wenigstens aus der Ferne zu sehen, ihnen zuzuwinken oder ein kurzes Gespräch auf Abstand zu führen. Viele der Kleinen waren traurig, dass sie nicht in ihren "Kindi" durften. Eltern erzählten, dass deswegen immer wieder Tränen flossen.
Die Unsicherheit der Eltern, wie es wohl weitergeht, war mit Händen zu greifen. Die langen Wochen zu Hause wurden zur echten Belastungsprobe. Da brachte die schrittweise Öffnung für viele eine spürbare Erleichterung. Die Kinder waren einfach nur froh, wieder mit ihren Freunden spielen zu können. Viele Eltern zeigten große Dankbarkeit für das, was wir tun. Ihre Wertschätzung für unsere Arbeit tut uns allen sehr gut.“
Seit Ende Juni gilt der „Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“. Wie lebt es sich jetzt?
„Dass die Abstandsregel für die Kinder aufgehoben wurde erleichtert vieles. Dennoch müssen wir unsere bisherigen Aktivitäten stark anpassen: Wir singen jetzt im Garten, und auch das Turnen wurde nach draußen verlegt. Wir sind kreativ und lassen uns schon einiges einfallen. So ersetzen wir beispielsweise die Lieder mit Sprechversen. Dehnübungen und Stretching können wir zum Glück auch im Innenbereich durchführen.
Mahlzeiten können wir wieder aus der Großküche anbieten. So bekommen die Kinder ein warmes Mittagessen, das trägt sehr zur Normalität bei. In der Küche und beim Verteilen der Mahlzeiten tragen wir selbstverständlich Handschuhe, Mundschutz und Schürze. Regelmäßig desinfizieren wir Stühle, Tische, Lichtschalter, Türklinken und vieles mehr. Hygiene wird jetzt noch größer geschrieben als zuvor.
Wir sind sehr froh, dass die Kindergärten nun wieder komplett für alle Kinder geöffnet sind, trotz aller Umstellungen. In den Einrichtungen unserer Diakonie können wir Betreuungszeiten wie vor der Schließung anbieten. Das ist etwas Besonders. Für alles, was wir an Normalität zurückgewonnen haben, bin ich sehr dankbar.“
Larisa Chiavalo, 22 Jahre, Pädagogische Fachkraft im Wilhelm-Götz-Kindergarten